GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

Michael Omasta / Michael Loebenstein

Am Schneidetisch hat der Künstler Gustav Deutsch vorgefundenes Filmmaterial zum jüngsten Teil seiner flimmernden Grundlagenforschung „Film ist." montiert.

„Was ist Film?", fragt Peter Kubelka. „Film is a battlefield. Film ist Montage. Film is a girl and a gun." 1996, als das Kino seinen hundertsten Geburtstag feierte, hat der Wiener Filmemacher Gustav Deutsch angefangen, die provokanten Ein-Satz-Definitionen von Sam Fuller bis Jean-Luc Godard zu sammeln. Er kam zu dem existenzphilosophischen Schluss: „Film ist.", und nahm sich vor, irgendwann einen Film zu machen, der keine dieser Definitionen mehr nötig hat.

Bereits seit Mitte der Achtzigerjahre arbeitet Gustav Deutsch mit Found-Footage: gefundenem Material, dem Zufall und Filmrestchen. Listet man die Titel seiner Filme chronologisch auf, wird deutlich, dass sein Werk dem Projekt der Verdichtung, dem essenziell Filmischen verpflichtet ist: „Film spricht viele Sprachen" hieß sein Trailer für die Viennale 95, und „Film ist mehr als Film" jener von 1996; zwei Jahre danach stellte Deutsch schließlich die ersten sechs Kapitel seines auf mehrere Teile angelegten Projekts „Film ist." vor, in denen er mit den Mitteln der Montage eine Hundertschaft wissenschaftlicher Gebrauchsfilme sezierte.

Mit „Film ist (7-12)" liegt nun Teil zwei von Deutschs prinzipiell „unendlichem" Katalog der bewegten Bilder vor. Was das Ausgangsmaterial betrifft, so geht er an die Anfänge der gängigen Filmhistoriographie zurück. „Film ist ein optisches Phänomen, das bereits kurz, nachdem sich die Erdkruste gebildet hat, entstanden ist", meint Deutsch. Und: „Film war in dem Moment, als sich durch eine kleine Öffnung im Innern einer Höhle zum ersten mal das Außen reflektiert hat." Im noch unentschieden zwischen Dokument und Fiktion, Jahrmarkt und Kunst changierenden Kino des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts fand der Filmemacher das am besten für sein Vorhaben geeignete Rohmaterial: die künstlerische Auseinandersetzung mit jenen „Schlüsselelementen" des filmischen Erzählens, die in der Kinematographie bis heute fortwirken.

Was, zum Beispiel, heißt „Inszenierung"? Und was bedeutet „dokumentarisch"? Prägnant etwa jene Szene, die sich im Netherlands Filmmuseum fand: „Papst Leo XIII in His Chair" aus dem Jahr 1899. „Sie zeigt den Papst, der gerade die Biograph-Kamera segnet", erklärt Deutsch. „Aufgenommen hat sie William Dickson, ein Mitarbeiter von Edison, der mit seiner Familie auf Reise durch Italien war und um eine Audienz gebeten hat. Toll ist diese Szene deshalb, weil der Papst schon so alt ist, dass er gar nicht mehr weiß, worum es geht; wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, wie der neben ihm stehende Kardinal ihm die Regieanweisung, das Zeichen zum Segnen, gibt. Völlig unklar bleibt, was der Papst da eigentlich gesegnet hat. Die Kamera? Den Kameramann? Oder womöglich auch das Publikum, das später den Film sehen wird?"

Suchen ist ein Aspekt bei der Arbeit mit Found-Footage; das Finden ein anderer. „Film ist." gingen mehrjährige Recherchen voraus, die Gustav Deutsch zusammen mit seiner Gefährtin, Hanna Schimek, unter anderem in den Filmarchiven von Amsterdam, Bologna und Wien, unternommen hat. Recht wahrscheinlich, dass es Deutsch bei der Bewältigung der logistischen Probleme zupass kam, dass er neben seinen diversen künstlerischen Tätigkeiten als Mitlied der Medienwerkstatt Wien und der Künstlergruppe Der blaue Kompressor jahrelang auch in seinem angestammten Beruf als Architekt gearbeitet hat. „So einen Film aus 195 Einzelfilmen zusammenzubauen, Bausteine der Kinematographie zu finden, hat schon mit Architektur zu tun", glaubt Deutsch. „Man muss in Planungsschritten denken, Kontakte zu den Mitarbeitern der Archive aufbauen, pflegen und diese auch begeistern. Nur dann kann ich die Qualität erreichen, die ich mir wünsche... Ganz ähnlich in der Architektur: Wenn ich mit einem Polier oder einem Tischler ‛kann' dann wird sie gut."

Wie man sich diese Zusammenarbeit in der Praxis vorstellen kann? Nehmen wir die Zufallshunde! „Mit diesem „Suchwort" fangen nur Archivare etwas an", erklärt der Filmemacher. „Ich selbst hab erst nach dem fünfzigsten Film oder so gemerkt, dass das ein immer wiederkehrendes Element im frühen Kino ist: Nachdem die Schauplätze damals nicht so gut abgesichert waren, sind pausenlos irgendwelche Hunde ins Bild gelaufen. Abgesehen davon, dass es natürlich lustig ist, sagen diese Zufallshunde für mich auch sehr viel über Film als Erinnerung und Dokument aus - denn ein Hund ist immer Dokument ... Erst später hat man angefangen, ihn sozusagen als Darsteller in die Szene zu übernehmen."

Film ist. freilich ist mehr als ein Film, soll heißen: Die Vorführung im Kino ist lediglich eine von mehreren Präsentationsformen. Bei seiner Uraufführung am Filmfestival von Rotterdam etwa wurde „Film ist." als Rauminstallation gezeigt. Auf Kopfhöhe hängende riesige Zylinder aus semitransparenter Folie, die mit Videoloops bespielt wurden, erlaubten dem Zuseher, das Geschehen sowohl von außen als auch von innen zu verfolgen. Bei der Diagonale wiederum war „Film ist." unter anderem auf einer Wand mit Videoscreens zu sehen, wobei die einzelnen Bildschirme nach dem Zufallsprinzip gespeist wurden. Und Deutsch selbst bezeichnet seine jüngste Arbeit (mit einem Begriff aus den Zehnerjahren) als Tableaufilm - Kinobetreiber oder Festivals müssen nicht die gesamten 93 Minuten spielen, sondern können sich selbst einzelne Kapitel aussuchen. Nach einem ähnlichen Prinzip kam auch die eigenwillige Tonspur des Films zustande; Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Martin Siewert und Burkhard Stangl „vertonten" - unabhängig voneinander - einzelne Szenen. Aus dem gesammelten Klangmaterial wählte Deutsch hernach verschiedenes Knarzen, Knistern und Grammeln aus, das von den Musikern schließlich erneut überarbeitet wurden.

„Was einen Film ausmacht, entsteht im Kopf", ist Gustav Deutsch überzeugt. „Fantastisch ist nur, dass viele Leute trotzdem den ‛gleichen' Film sehen." Mit der Musik verhält es sich im Fall von „Film ist." wohl ähnlich. Allerdings spaltet sie die Lager: „Die einen finden sie wunderbar, die anderen halten sie schwer aus. Da gibts keine Kompromisse."