GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

Der österreichische Filmemacher Gustav Deutsch legt mit „Film ist." eine bestechende Kompilation von Laufbildern, die nur das Kino möglich macht, vor.

Claus Philipp

Entscheidend am Titel Film ist. ist der Punkt, der angekündigte Definitionen gleich wieder verweigert. In der Tat ist es Gustav Deutsch, der zuletzt schon mit seinem Taschenkino Film in diverse Bewegungs-, Erzähl- und Strukturformen zerlegte, nicht um wissenschaftlich gültige Erklärungen zu tun: „Jeder Film evoziert eine andere Definition von Kino. Die einfachste: Jedesmal, wenn zwei Bilder montiert werden, definiert sich Film."

STANDARD: Peter Kubelka hat ja mit einer solchen Klebestelle auch sein zyklisches Programm Was ist Film? bebildert. Ist das also eine lakonische Antwort?

Deutsch: Nein. Film läßt sich meiner Meinung nach nie erklären. „Je länger man ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück." Ich will gar nicht definieren: die Welt nicht, das Leben nicht, den Film nicht.

STANDARD: Deshalb auch keine Titel über trakthaft numerierten Unterkapiteln? Sollen die Betrachter ihre eigenen Begriffe bilden?

Deutsch: Diese Numerierungen praktiziere ich schon länger. Ich näherte mich dem Material ja wie ein Wissenschafter einem Forschungsgegenstand, bin in Archive gegangen, habe geforscht, und daraus haben sich gewisse thematische Gruppen ergeben. Und mit den Unterkapiteln deute ich an, daß diese Sortierung nach außen hin offen ist. Nach 1.9 und 1.10 kann demnächst noch 1.11 folgen.

Ich nenne diese Arbeit einen „Tableaufilm". Das waren in den 20er Jahren Filme, bei denen sich der Verleiher beliebige Akte zusammenstellen konnte und damit auch eigene Geschichten. So ist es auch bei Film ist. Jeder kann sich aus meinen „Kapiteln" einen eigenen Film zusammenstellen. Wenn ich wieder Material finde, dann kommt das dazu.

STANDARD: Der Filmemacher als Archivar?

Deutsch: Nicht im verstaubten Sinn. Es geht um lebendiges, künstlerisches Spiel mit Unvollständigkeiten. Ich bin ja kein Wissenschafter und sehe das als Spielform. In bezug auf Film hat dieser Zugang natürlich auch insofern seine Begründung, als Film für wissenschaftliche Zwecke erfunden wurde. Es ging ja Erfindern, Wissenschaftern wie Muybridge oder den Lumières immer darum, die Wahrnehmung von Welt zu verbessern.

STANDARD: Dementsprechend arbeitet Film ist. auch nur mit technischen Gebrauchs- oder Lehrfilmen, die gemeinhin in den Kinematheken nicht wahrgenommen werden.

Deutsch: Ich bin von den Studien der Pioniere über die Bewegungen von Menschen und Tieren ausgegangen. Zeitlupenaufnahmen oder Zeitrafferaufnahmen, die man so nur im Film sehen kann, ergeben gleichzeitig ästhetische Bilder, die auch ohne Forschungszweck für sich stehen könne. Eine Fledermaus in Zeitlupe hat für mich eine ästhetische Gültigkeit. Und solche Bilder, die nur Film möglich macht, habe ich gesucht.

STANDARD: Es fällt auf, daß diese Aufnahmen aber, anders als in vielen avantgardistischen Found-Footage-Arbeiten, nur sehr verhalten be- und überarbeitet werden.

Deutsch: Sie hätten sonst ihre unverwechselbaren Charakteristika verloren. Mir geht es nicht um Dekonstruktion von vorhandenem Material. Mir geht es um Kombinationen, die den ursprünglich angelegten Sinn verstärken.

STANDARD: Ist das eine Art von Respekt? Wie äußert sich dann da der Autor Deutsch - als Rechercheur, als Archivar?

Deutsch: Ich liebe das Ungeliebte. Und ich liebe das Retten und das Finden - möglichst auf der Straße. Wenn mir zum Beispiel auf einem Flohmarkt in São Paulo eine Rolle übergeben wird, dann liegt darin schon sehr viel Geschichte. Wenn das dann ein Lichtbestimmungstestband für einen Spielfilm ist, dann ist das eine weitere Geschichte wie die Tatsche, daß dieses Zelluloid irgendwann einmal als Putzmaterial verwendet wurde.

STANDARD: Diese Episode unter dem Titel Material scheint mir überhaupt die raffinierteste zu sein. Es ist plötzlich so, als wären auch die Schauspieler, die da eine Firmensituation nachstellen, ebenso Material wie die hierarchischen Verhältnisse, von denen da erzählt wird.

Deutsch: Ein gutes Beispiel. Ich stelle dieses Stück aus und erfinde gleichzeitig einen Rahmen, eine Ausstellungsform, in der diese Lesarten nahegelegt werden. Das tue ich, indem ich jetzt dem Betrachter ermögliche, Einzelkader anzuhalten und in ihrer Beschädigung und Ästhetik wahrzunehmen. Im Wort „Material" sind gleichzeitig auch andere Bedeutungs- und Deutungsebenen angelegt, so wie in der Episode Spiegel, ganz am Ende. Abgebildete Spiegel im Film, das Kino selbst als Spiegel, Zwillinge im Film, die einander zu Spiegeln werden, ein Affe, dessen Verhalten auf Spiegelbilder getestet wird, gegen ein Mädchen, das sich im Spiegel selbst erkennen kann: All das sind Geschichten innerhalb der Montage.

STANDARD: Man kann da an die Heisenbergsche Unschärferelation denken: Einer Erkenntnis steht gleichzeitig ein Verlust an Information entgegen. Wie verhält es sich da mit aus dem Zusammenhang gerissenen Filmbildern?

Deutsch: Die Qualität künstlerischer Arbeit zeichnet sich für mich dadurch aus, daß man das, was man erfahren hat, vergessen hat. Alles, was ich über Film weiß, muß ich vergessen, um überhaupt einen guten Film machen zu können. Der Verlust der Naivität durch professionelles Wissen ist die größte Gefahr. Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Sujet wie etwa der Wahrnehmung bringt diese déformation professionelle mit sich. Ich sitze also im Kino und weiß genau, wie „es" gemacht ist. Trotzdem bin ich plötzlich fähig zu weinen. Und nur dann ist der Film stark - wenn ich vergesse. Wenn er mich dort berührt, wo ich nicht weiß. Dafür muß ich aber durch das Wissen durch. Ich bin ja kein naiver Landschaftsmaler. Aber ich muß irgendwann, das, was ich weiß, vergessen. Sonst ist es keine Kunst.

STANDARD: Film ist. ist für einen Experimentalfilm eigentlich unüblich lang ...

Deutsch: Für mich ist es eine Reihe von Einzelarbeiten, die man unter einem Titel zeigen, aber auch als Serie etwa im Fernsehen ausstrahlen kann. Es sind kurze Stücke, an denen ich lang dranbleibe.

STANDARD: Gibt es im Deutsch-Archiv eigentlich auch Skizzen zu weiteren Arbeiten?

Deutsch: Es gibt sogar Arbeiten, die bereits in eine Werkliste aufgenommen sind, aber nur als ungeschnittenes Material und als Konzept in meinem Kopf existieren. Zum Beispiel: Mies van der Rohe antwortet Frank Lloyd Wright. Ich habe da zwei Szenen, die könnte ich zusammenschneiden, aber es gab bis jetzt keine Gelegenheit dazu. Vielleicht braucht ein Architekturfestival einen Trailer ...