GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

Claus Philipp

100 Menschen und 100 Schauapparate in einem Raum, 100 Endlosbewegungen gegen die Bürde von 100 Jahren Kino. Eine Stunde lang neuerwachte Neugier und Lust am Spiel mit Kleinmechanik und Laufbildern: „Taschenkino".

Das „Kino" ist eine kleine giftgrüne Plastikbox, ein Spielzeug wie ein Kinder-Fotoapparat, durch dessen Sucher man Märchenbilder oder Tourismus-Schönheiten betrachtet. „Film" heißt eine kleine Zelluloidschleife, befestigt in einer durchsichtigen runden Plastikschatulle, die wiederum in den Hauptapparat hineingesteckt wird.

Dem Filmemacher Gustav Deutsch wurde so ein Gerät einmal zum Geburtstag geschenkt, vermutlich von Freunden mit eher schwarzem Humor. Es handelte sich um ein Produkt aus der unerschöpflichen Palette des Beate-Uhse-Versands. Zu sehen war eine nackte Frau, die in seelenloser Wiederholung auf dem liegenden Betrachter tanzt - ein trauriges Lust-Spiel, das Deutsch jedoch an ein ursächliches Interesse des Laufbildes erinnerte.

Vor aller Erzählung herrschte in den Vor- und Frühformen des Kinos zuerst die Faszination der Wiedergabe von Bewegung. Man erinnere sich nur an jenes Serienfotogewehr, mit dem ein weißes Pferd im Galopp abgebildet werden konnte, so wie im richtigen Leben, und gleichzeitig fremdgeworden: Das Selbstverständliche zerfällt in abstrakte Partikel.

Gustav Deutsch hat nun 100 Apparate mit weitgehend sehr profanen Bewegungsabfolgen programmiert. Zitat Abt. 1 „Lebensrhythmus": „1.1. Sehen, 1.2. Hören, 1.3. Kauen, 1.4. Atmen, 1.5. Greifen, 1.6. Treten, 1.7. Wedeln, 1.8. Tasten, 1.9. Flattern, 1.10. Drehen". In den weiteren 9 Abteilungen seines von hundertjahrekino ermöglichten „Versuchs über die endlose Wiederholung im Leben und im Film" versammelte er weiters Trivialitäten wie „7.1. Händewaschen" oder „10.4. Daumendrehen", Naturgesetze (3.6. Zentrifugalkraft") oder Fortbewegungsarten.

Natürlich geht es Deutsch nicht um systematische Weltdeutung. Ein Beispiel nur aus seinem bisherigen Schaffen zur Verdeutlichung dieser Annahme sei Adria, eine Kompilation von Reisefilmen von Touristen. Dort war die Unterteilung in Kamerabewegungen, -positionen und Motive weniger Ausgangspunkt für theoretische Beweise als vielmehr Verfremdung vermeintlich entleerter Bilder und Wendungen, die so wieder Brisanz gewinnen.

Vitale Testreihe

Deutsch ist nicht strikter Exekutor von Konzepten, sondern gelassener Unterwanderer von konventionierten Perspektiven und Klischees. Sein Gebrauch des Wortes „Versuch" impliziert zuallererst das (Mit-)Erleben einer Testreihe, an deren Ende meist Zugewinn an produktiver Unkenntnis steht. Es geht um das Fremde im Vertrauten.

Im Taschenkino geht es dem Künstler neben essentiellen, endlosen Wiederholungen letztlich auch um den Raum und die Interaktion zwischen Betrachtern, um jenes Gemeinschaftserlebnis, das zum Kino gehört. Wenn 100 Betrachter nach Deutschs Anweisung binnen einer Stunde die 100 Filme sehen, sind jene Momente, in denen jeder für sich, mit Augenklappe und Projektor ausgestattet, für sich ist, in der Minderzahl.

Allein die rhythmische Weitergabe der Apparate sorgte bei der Premiere im Wiener Filmhaus-Kino am Wochenende für regen Austausch von „Erfahrungen", Meinungen und Emotionen. Das hundertfache Surren der Geräte und die gemeinsame Blickrichtung zur Leinwand, die diesmal Projektionsfläche für weißes Licht und Lichtspenderin in einem war, verwandelten den Raum in einen pulsierenden Organismus, in dem heiters Chaos das Ticken eines Metronoms oft übertönte.

Das Taschenkino lebt: Diesen Befund sollte man in den nächsten Wochen und Monaten noch oft stellen dürfen, demnächst jedenfalls bei der Salzburger Diagonale.