Paolo Bianchi
GUSTAV DEUTSCH & HANNA SCHIMEK (*1952 und *1945, leben beide in Wien): Das Wiener Künstlerpaar Deutsch und Schimek nennt seine Arbeit eine künstlerische Forschung und bezeichnet es als "D&S artistic research project‘‘. Bei ihrer mit wissenschaftlichen Methoden betriebenen Annäherung an die saharische Oase Figuig im Nord-Osten Marokkos (entwickelt während mehrmonatiger Aufenthalte in den Jahren 1987/55, 1989/90 und 1992/93) ging es darum, die Oase als Fallbeispiel für "Welt" zu betrachten So gesehen ist die Oase, wie Deutsch und Schimek schreiben, "nicht notwendigerweise, sondern eher zufällig ein Ort. der verglichen mit unserer Kultur, Gesellschaft und Landschaft sehr exotisch erscheint.
In der Fremde, das bekamen auch Deutsch und Schimek zu spüren, herrscht stets eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft. Dieser klare Blick erleichtert das Wahrnehmen von Zusammenhängen. Die vom Wiener Künstlerpaar betriebene Konfrontation mit einem fremden Ort und einer fremden Kultur kann in diesem Sinne auch als Übung verstanden werden, um sich selbst und die eigene Kultur besser verstehen zu lernen. Deutsch und Schimek sehen dieses interkulturelle Training als unabdingbare Voraussetzung für die Kommunikation, für das Verständnis und das Zusammenleben mit fremden Menschen aus anderen Kulturen. Sie sprechen insgeheim von einer doppelten Strategie: "Unsere künstlerischen Forschungsarbeiten in der Oase sind daher ebenso Forschungen über essentielle Elemente des Lebens der Kulturr und der Zivilisation, und ein Versuch mit der ortsansässigen Bevölkerung darüber zu kommunizieren und zu kooperieren." Im nachfolgenden Text machen sich Deutsch und Schimek Gedanken darüber, wie man als Künstler und Künstlerin aus der sogenannten ersten Welt in einem Land der sogenannten dritten Welten agieren, arbeiten und leben kann.
Dedicated to Charles M. Huber
Gustav Deutsch, Hanna Schimek
Im Hinblick auf die Bedeutung der Kunst als Mittlerin zwischen den Kulturen, verstehen wir die Arbeit von Künstlern und Künstlerinnen, die in fremden Ländern leben, als eine Möglichkeit geografische, soziologische und politische Bedingungen des Lebens vor Ort kennen zulernen und diese vor dem eigenen kulturellen Hintergrund persönlich und authentisch zu reflektieren. Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber einer fremden und unbekannten Kultur sind die Grundvoraussetzungen für die Verständigung, das gegenseitige Verständnis und das Zusammenleben. Die Kunst kann dergestalt als Vermittlerin des Unsagbaren eine wichtige Rolle spielen.
Eine Oase als ein sehr limitierter und geschlossener Lehenszirkel ist ein modellhaftes Beispiel für WELT. Kaum irgendwo sonst auf der Erde sind die Grenzen zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen Leben und Tod klarer sichtbar als in einer Oase. Vielleicht liegt die starke Aussagekraft eines solchen Ortes an der Unmlittelbaren Ablesbarkeit derZusammenhänge. Als Fremder für längere Zeit an so einem Ort zu leben heißt, das Leben - alleine schon durch die bloße Anwesenheit im geschlossenen Kreis - zu verändern. Wenn man sich dessen bewußt ist, wird man sehr vorsichtig im eigenen Verhalten und in der eigenen Arbeit.
Unsere Arbeit wurde von den Einwohnern meist als "Recherche" bezeichnet. Weil wir ähnliche Werkzeuge und Methoden, etwa Messen und Zählen, Sammeln und Klassifizieren, verwendeten, erinnerte sie unsere Vorgangsweise an die Arbeit der Europäer, die seit Jahrzehnten als Wissenschaftler ins Land kommen und sich mit immer gleichem Instrumentarium dem Unbekannten genähert haben. Tatsächlich verwendeten wir wissenschaftliche Werkzeuge und Methoden als künstlerische Zitate, Formen und Spiele, ohne jedoch wissenschaftliche Ziele zu verfolgen oder Schlußfolgerungen zu ziehen. Wirspielten sowohl die Rolle von Botanikern als auch von Geographen, von Landvermessrn wie von Kartographen. Wir verwendeten keine lokalen Führer, wir fragten nicht nach Erklärungen und wir waren erstaunt, wie sehr unsere Aktivitäten akzeptiert wurden und selbstverständlich erschienen.
Eine unserer ersten Arbeiten, die bis heute andauert, ist ein Projekt über das Wassersystem der Oase. Es ist bei spielhaft für unsere Arbeitsmethode und für unseren Versuch, darüber mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und zusammenzuarbeiten. (Neben dieser künstlerischen Forschung über das Wassersystem der Oase Figuig mit dem Titel "Das Wasser der Wüste II" arbeiteten und arbeiten wir an fünf weiteren Forschungsprojekten: "Die Pflanzen der Wüste I", "Die Wege der Wüste I", "Die Wege der Wüste II". "Das Wasser der Wüste III" und "Die Grenzen der Wüste I".)
Es war naheliegend, in einer Oase mit einer Arbeit über das Wassersystem zu beginnen. Wir waren sehr beeindruckt über die Art, mit der das Wasser seit Jahrhunderten gesammelt, reguliert und verteilt wurde. 24 Stunden, bei Tag und bei Nacht, wird das Wasser von 30 Quellen unter- und oberirdisch zu Wasserbassins und von dort mit Hilfe sehr komplizierter Verzweigungen und Absperrungen in die Gärten und Felder geleitet.
Die Methoden der Bewässerung wurden seit Jahrhunderten entwickelt und erprobt. und sie können als hewährte "Versuche über Gerechtigkeit" angesehen werden. Das Wassersystem mit allen seinen aus der Erfahrung geformten Teilen ist nicht das Resultat einer abstrakten Planung, sondern das gegenwärtige Resultat einer praktischen Entwicklung, die weitergehen wird, solange das Wasser fließt. Das Wassersystem kann als Spiegel einer Gemeinschaft im gegenseitigen Existenzkampf betrachtet werden, als elementares Kulturgut einer Gesellschaft. Das Wassersystem kennenzulernen heißt, daher auch mehr über die Gesellschaft zu erfahren, die es am Leben erhält. Wegen der begrenzten Wasserressourcen hatte es immer Kämpfe unter der Bevölkerung gegeben, und wegen dieser Kämpfe ist die Oase bis heute noch in zahlreiche Einheiten geteilt. Entsprechend diesen Einheiten, ist das Bewässerungssystem nicht überall das gleiche, und es wurde sogar dazu benutzt, Wasser von den Nachbarn zu stehlen, um diese dadurch zu vernichten. So wird in einer Oase als Beispiel für WELT die Problematik begrenzter Ressourcen auf der Erde augenscheinlich.
Auf unseren Wegen durch die Gärten begannen wir, die von uns entdeckten Bassins mit Schritten zu vermessen und zu skizzieren. Wir maßen den aktuellen Wasserstand und die absolute Wassertiete und berechneten so die aktuelle und die maximale Wassermenge. Wir machten von jedem Becken eine fotografische Aufnahme und vermerkten Datum und Uhrzeit. Bis heute haben wir 133 Bassins gefunden, vermessen und gezeichnet. Auf GrundIage der Zeichnungen fertigten wir Tonmodelle der Becken im Maßstab 1:200 an.
Da uns kein Plan des Wassersystems zur Verfügung stand und da wir die Bassins zufällig entdeckten, wußten wir nicht, wo sie sich in den Palmengärten tatsächlich befanden und wem sie gehörten. Um dies herauszufinden und weil wir unsere Arbeit präsentieren wollten, gestalteten wir eine Ausstellung mit den Fotografien und Zeichnungen aller 133 Becken und ersuchten die Besucher, neben den Fotografien den Namen des Besitzers, den Ort und das Entstehungsdatum sowie etwaige Bemerkungen zu schreiben. In einer Woche kamen mehr als 1000 Besucher, um ihre Becken zu identifizieren und zu benennen. Wegen der Eifersucht unter den Dorfeinheiten wurden wir gezwungen, nach einer Woche mit der Ausstellung in eine andere Dorfeinheit umzusiedeln und sie auch dort zu zeigen. Dies war die erste politische Entscheidung, die wir treffen mußten - damit befanden wir uns mitten darin im geschlossenen Lehenszirkel der Oase.
Ausschnitte aus einem Referat von Gustav Deutsch und Hanna Schimek gehaIten im Rahmen der „Athen Konferenz", am 16. Februar 1995 im K. Palamas Gebäude der Universität Athen.