Christoph Huber
„Film ist. (7-12)", der zweite Eintrag in Gustav Deutschs Kompilationsfilmreihe: Eine faszinierende Abenteuerreise quer durchs frühe Kino.
Ein Viereck leuchtet, leicht türkis, im Dunkel: Es wirkt wie ein kleiner TV-Schirm oder ein Oszilloskop. Wenige Sekunden später gibt es sich freilich als das Guckfenster einer Tür zu erkennen: Die wird geöffnet und Licht fällt herein, macht die grünlich viragierte Szenerie erst kenntlich. So beginnt Film ist. (7-12), der zweite Teil von Gustav Deutschs potentiell unendlicher Anthologie nach Themenkomplexen geordneter, assoziativer Archäologie des Kinos und seiner Wunder.
Ein passender Anfang, zumal sich das vermeintlich Moderne als Teil einer schon sehr alten Aufnahme erweist: Für die zweiten sechs Kapitel von Film ist. verwendet Deutsch Material aus der Frühzeit des Kinos, einer lange als naiv abgekanzelten Ära, die mittlerweile als „Kino der Attraktionen" eine grundlegende Neueinschätzung erfahren hat: Sein bloßes, gewissermaßen von Handlung „unverdorbenes" Zur-Schau-Stellen macht es, unter anderem, zum Vorläufer gegenwärtiger Blockbuster, die sich ebenfalls von einem Überwältigungsbild zum nächsten vortasten.
Spritzende Schläuche
Ungleich differenzierter, aber wesentlich amüsanter als die meisten Vertreter dieser Gattung, arrangiert Deutsch in Film ist. (7-12) sechs Kapitel zu ausgewählten Stichwörtern, die dem Titel zur Seite gestellt werden: (Film ist.) Komisch nennt sich schlicht das erste, und ist es in jeder Hinsicht. Bilderfolgen rund um Fahrradunfälle, spritzende Schläuche und andere Liebkinder aus den ersten Tagen des Kinematographen werden da aneinander gekoppelt, auf neue Weise zusammengedacht: über eine Bewegung, die sich in der nächsten, von anderen Figuren bevölkerten, aus anderer Quelle stammenden Einstellung nahtlos fortsetzt, oder lose thematisch aneinandergehängt, etwa als Serie eskalierender Leiter-Besteigungen.
Von narrativen Zwängen befreit, findet Deutsch pure Schaulust: Ein Blick durchs Schlüsselloch in den nächsten Raum zeigt wundersamerweise ein Boot zu hoher See, eine Serie von immer schnelleren Wettfahrten zwischen Autos, die den Bahnübergang rechtzeitig passieren wollen, und heranrasenden Zügen gerät immer näher an die drohende Kollision - das Resultat ist eine perfekte Suspense-Maschine, gebaut aus Wiederholung und Differenz.
Neben den immens befriedigenden kinetischen und humoristischen Qualitäten verdichtet diese Methodik das nicht immer offensichtliche lyrische und reflexive Potential des Ausgangsmaterials: Der kolonialistische Blick wird im Kapitel Eroberung durch die Montage gegen sich selbst gewendet, ebendort wird auch der Traum von der Beherrschung der Lüfte zum Desaster; ein majestätisch die Wolken durchstoßender Zeppelin weicht einen trudelnden Flugzeug im freien Fall.
Anderswo wird der Kontrollverlust nicht unbedingt zur Katastrophe, sondern neigt zur Anarchie, eine Serie wackelnder Aufnahmen findet Seekrankheit überall, gerade am Festland: Es taumelt die Straße, es taumelt das Zimmer und erst später kommt auch ein Bullauge in Sicht. Das Manipulationspotential des Filmschnitts wird hier ebenso überzeugend vor Augen geführt wie später, als die Gegenüberstellung zweier Prozessionen - Models flanieren um einen Pool, afrikanische Wasserträgerinnen marschieren durchs Dorf - Gegensätze über Ähnlichkeiten verbindet.
Neben der Montage liefert der Ton ironische Distanz oder emotionale Verstärkung: Mithilfe eines Sound-Pools, den vier Elektronik-Bastler (Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Martin Siewert, Burkhard Stangl) zu sieben Stunden ausgewählten Materials erarbeitet haben, wurde im audiovisuellen Remix-Prinzip die resultierende, 93minütige Endform erarbeitet.
Die fröhliche Wissenschaft
Das äußerst komplexe Resultat funktioniert dabei nicht nur als für sich genommener Film, sondern auch als Kommentar über die Methodik des Kinos überhaupt: Gerade in schlagend einfachen Ideen (ein Cowboy schlägt die Zeitung auf und studiert im Gegenschnitt Börsenmeldungen auf Französisch, eine originelle Auswahl von Zwischentiteln erzeugt einen fiktiven Film im Kopf des jeweiligen Betrachters) werden spielerisch die Möglichkeiten von filmischen Arrangements durchdekliniert. In bestechend schönen Materialschäden und geisterhaften Loops werden gleichzeitig über die aktuelle Projektionssituation hinausreichende Aspekte der found footage auf höchst vergnügliche Weise realisiert: Die wissenschaftliche Arbeit, die Deutsch hier ebenfalls leistet, ist entschieden eine fröhliche, auch wenn Film ist., seinen geheimnisvollsten Sequenzen um nichts nachstehend, in der Verlangsamung eines Abschieds zum Gespenstertanz sein Ende findet. Vorläufig nur, allerdings: Wie der zwischen den einzelnen Kapiteln wiederkehrende Titel versichert, sind seine Anwendungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit neuen Wörtern glücklicherweise unbegrenzt.