Sebastian Feldmann
Werkschau des Wieners Gustav Deutsch bei der fünften „Diagonale" in Graz.
Was geschah wirklich zwischen den Bildern?
Eine hochinteressante, anregende Werkschau über die Arbeiten des Wiener Filmmachers Gustav Deutsch bot jüngst die „Diagonale", Festival des österreichischen Films, in Graz. Noch in Schmidt/Scheugls Standardwerk „Eine Subgeschichte des Films - Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms" (Suhrkamp, 1974) ist der Mann, Jahrgang 1952, nicht erwähnt. Mit dem Wiener Peter Kubelka (Jahrgang 1934) und dem Mülheimer Werner Nekes (geboren 1944 zu Erfurt) gehört er zu den raren Nachdenkern über Film, Filmstruktur, Filmgeschichte, die aber aus ihren theoretischen Erkenntnissen dennoch süffige, unterhaltsame Filme zu verfertigen verstehen.
„Was geschah wirklich zwischen den Bildern?" fragte Werner Nekes in einem Kulturfilm (im besten Sinne) über Vor- und Frühgeschichte des Films, und die Frage treibt auch Deutsch um. Denn zwischen den Bildern (24 pro Sekunde) flattert ein entsprechender Schwarz-Anteil im Projektor durch die Kreisflügelblende, die die Bilder voneinander trennt, damit sie der Trägheit des Auges überhaupt wahrnehmbar werden.
Egal. Wollen wir nicht weiter physikalisch theoretisieren. Sondern lieber etwas beschreiben, anschaulich machen. Etwa, nur herausgepickt aus sechs Deutsch-Programmen der „Diagonale", die Arbeit „Film ist. (7-12)". Da haben Deutsch und Mitarbeiterin Hanna Schimek eineinhalb Stunden lang historisches Filmmaterial zumeist aus der Stummfilmzeit und aus neun Archiven (können auch zehn sein) gesammelt, analysiert, montiert, neu strukturiert ohne Rücksicht auf den jeweils ursprünglichen Zusammenhang, indem sie im Zerreißen neue Zusammenhänge stifteten.
Und die heißen: Komisch / Magie / Eroberung / Schrift und Sprache / Gefühl und Leidenschaft / Erinnerung und Dokument. Eine hinreißend unterhaltsame Revue, zusammengebaut aus der „Welt als Scherbenhaufen" (so Enzensberger über Wochenschauen in „Einzelheiten", 1962). Da prallt dann etwa ein ethnographischer Film aus dem tiefsten Afrika - nur zum denkbaren Beispiel - mit den handkolorierten Méliès-Zauberkünsten eines Ferdinand Zecca zusammen. Oder die Brüder Lumière mit Harry Piel aus Benrath. Oder der Serial-Papst Louis Feuillade mit dem Papst Leo XIII.
Hauptsache, die gemeinsame Struktur, der gemeinsame Rhythmus stimmen überein, unterhalten, öffnen die Augen zu übergreifenden, musterhaften, mustergültigen Zusammenhängen. Unglaubliches ist zu sehen.
Rot eingefärbte Bomben, die aus einem Flieger des Ersten Weltkriegs abgeworfen werden. Oder ein Zeppelin, der von einem Flugzeug mit künstlichem Nebel verhüllt wird, um ihm die gegnerische Sicht zu rauben - ein grandioser Wolkenvorhang, aus dem das Luftschiff gleich darauf aber träge, stoisch und triumphal hinausgleitet. Die Welt von Gestern; selten sah man sie so komisch, so tragisch, so bizarr, so triumphal. Ein Kaleidoskop von Kunst, Kultur, Zivilisation. Und Barbarei.
Gustav Deutsch ist ein Virtuose der geerbten Bilder und des Bildschnitts. Er jongliert gleichzeitig mit zwölf Äpfeln, sechs Würfeln und acht Fackeln. Ein Genie des Kombinations- und Kompilationsfilms. Einer, der aus dem Chaos einen Kosmos rundet. Kosmos heißt im Griechischen sowohl Ordnung als auch schön.