GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

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Christoph Huber

GUSTAV DEUTSCHS „WELT SPIEGEL KINO". Eine faszinierende Assoziationsmaschine offenbart Wurzeln der Filmkunst.

Zu Anfang ein Rauschen, digital, unter der Musik. Und, ein analoges Äquivalent, eine Art Rauschen auch über dem Bild, das erzählt von seinem Alter: Abnutzungserscheinungen, Flecken, Kratzer auf Material, das eine Straßenszene zeigt. Leben in Wien, 1912, vor dem Kinematograf Theater in Erdberg. Die Welt und das Kino haben seit Erfindung des Letzteren eine wechselseitige Beziehung unterhalten. Gustav Deutsch schaltet in seinem neuen Film eine Reflexionsebene dazwischen. Das gibt der Arbeit ihren Namen: Welt Spiegel Kino. Und klingt nebenbei schön wie ein Name, der viele Filmtheater zierte: Weltspiegel Kino. Eines davon existiert noch immer am Lerchenfelder Gürtel und zeigt Pornos.

Wie schon in seiner vorherigen abendfüllenden Arbeit Film ist. (7-12) montiert der Kino-Archäologe Deutsch gefundene Filme. Aber während er sie im Vorgänger einem geradezu rauschhaften Deklinieren unterzog (quasi die fröhliche Wissenschaft), so steht hier ein freieres Assoziieren wie in Trance im Vordergrund, Halluzinationen inbegriffen. Drei Straßenszenen - neben Wien 1912 noch eine im indonesischen Surabaya 1929 (vor einem Apollo Theater) und eine in Porto 1930 -fungieren als Ausgangspunkt für jeweils gut halbstündige Episoden.

Deutsch tastet die Szenerie ab, zoomt hinein zu einzelnen Personen und überblendet in anderes Material, gibt den Figuren gleichsam fiktive Biografien oder Träume, bevor er wieder auf die Straße zurückkehrt. Der erste ausgewählte Mann zieht vor dem Kinematograf höflich den Hut - prompt ver wandelt er sich, erscheint in voller Montur als Soldat des Ersten Weltkriegs. Die Schatten nahenden Todes hängen über der Wien-Episode, gleichzeitig macht Deutschs Film längst Tote wieder sichtbar, beinahe: lebendig. Er ist auch eine Ode an die paradoxen Elemente, Kräfte des Kinos.

Paradox mutet insbesondere der Film an, der in Surabaya zu sehen ist: Ausgerechnet Fritz Langs erzdeutsches Stummfilmepos Die Nibelungen in der noch kolonialisierten Stadt. Deutsch, der in jede.Episode auch Material aus dem im jeweiligen Kino laufenden Film einmontiert, schneidet vom drachentötefiden Siegfried auf einen lokalen Drachenumzug, die härteste der Kollisionen zwischen nationalen und fremden Bildern, die sich durch die Assoziationsmaschine Welt Spiegel Kino ziehen. Die theoretisch unendlichen Möglichkeiten dieser Verknüpfungen (der Film ist ein erstes Tripel, endet mit den Worten to be continued ...) verleihen der Arbeit zusätzliche Stärke: Die indonesische Episode etwa ist, für sich genommen, zwar ein klarer Kommentar zum Kolonialismus, aber wenig offenbarend (und die Übergänge zwischen den Filmstücken wirken nach den oft verblüffend perfekten Anknüpfungen in Wien ein wenig beliebig). Sie gewinnt aber durch das bereichernde Weiterspinnen von Bildern der anderen Teile.

Das letzte, zunächst unerklärliche Bild in Surabaya: eine Gruppe Einheimischer, die in einem weißen Gespinst verschwindet, bei einer Art Textilverarbeitung, wie sich zeigt. In Portugal verschwinden dann die Beine beim kollektiven Weinstampfen. Das letzte Bild in Wien: Eine nackte Frau nimmt rätselhafterweise ein Sandbad (so der Titel des verwendeten Herrenabendfilms - heimischer Produktion), verscheucht dann einen Spanner. (Man kann dabei auch wieder das Kino am Lerchenfelder Gürtel assoziieren.)

Abu Ghraib und Wien

Das Wienerlied „Mutterl, i bin verliebt" erklingt verfremdet zu dieser Nacktszene: Im Gegensatz etwa zu den ebenfalls im Avantgarde/Festival-Bereich mit längeren Found Footage-Revisionen höchst erfolgreichen Italienern Yervant Gianildarl und Angela Lucchi, die oft plakative Untermalung bevorzugen, ist die Ton-Musik (von Burkhart Stangl und Christian Fennesz) bei Deutsch nie redundant, sondern lädt ebenfalls zur Assoziation ein, auch daran kann man den Respekt vor den Bildern ermessen, der hier waltet. Das Kino als Weltspiegel, Wunschmaschine, Alptraum-Herberge, ständig im (Bedeutungs-)Wandel - die Kapuzenmänner in und um den in Wien gezeigten Krimi Die schwarze Kappe lassen unweigerlich an Abu Ghraib denken. Welt Spiegel Kino ist auch eine Hymne an die Imaginationskraft.

Am schönsten zu sehen gegen Ende der Porto-Episode als ein Fußballspiel „über tragen" wird (das Material stammt übrigens aus der berauschend betitelten portugiesischen Film-Reihe Nos grandes desastros de Foot-Ball) - auf einer Anzeigentafel mit einem leeren Fußballfeld ruckelt ein (wohl magnetisch bewegter) Ball herum, aber die Masse folgt dem aus heutigem Blickwinkel ärmlich anmutenden Schauspiel mit ungebremster Faszination. Die Szene ist gleichzeitig unendlich nah und unendlich fern.