GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

Wolfgang Nierlin

In seiner Malerei war der amerikanische Künstler Edward Hopper (1882 - 1967) vom Film beeinflusst, insbesondere vom Film noir mit seinem Spiel aus Licht und Schatten. Seine vermeintlich realistischen Gemälde inspirierten wiederum so unterschiedliche Filmregisseure wie Alfred Hitchcock und Wim Wenders. Hoppers Kunst der inszenierten Wirklichkeit faszinierte auch den österreichischen Filmkünstler Gustav Deutsch und veranlasste ihn zu einem ebenso ungewöhnlichen wie im Ergebnis vielschichtigen Experiment: In seinem Film "Shirley - Visionen der Realität" inszeniert er insgesamt dreizehn Bilder Edward Hoppers, die zwischen 1931 und 1963 entstanden sind, um sie in der fiktiven Nachstellung zum Leben zu erwecken. Dabei nutzt er die relative Offenheit seiner Vorlagen für einen Exkurs in die jüngst amerikanische Geschichte, die sich wiederum im Portrait seiner Titelheldin widerspiegelt.

Gustav Deutschs filmkünstlerische Transformationen, die dem Dialog zwischen Malerei und Film verpflichtet sind, beruhen maßgeblich auf präzise nachgebauten Räumen, ihrer farblichen Gestaltung sowie ihrer berückenden Ausleuchtung. Dieses bühnenartige, statische Konzept mit seinen vielfältigen Rahmen, die die jeweiligen Tableaux vivants einschließen, wird zum einen aufgebrochen durch einen gewichtigen Ton-Raum im Off; zum anderen durch die eleganten, fein austarierten Bewegungen der Tänzerin Stephanie Cumming, die in der Figur der Shirley eine emanzipierte Frau und selbstbewusste Schauspielerin verkörpert. Ihre anspielungsreichen Monologe aus dem Off reflektieren dabei nicht nur ihr schillerndes Metier sowie ihre langjährige Beziehung zu dem Fotojournalisten Stephen (Christoph Bach), sondern auch die politische Geschichte des Landes.

Deutschs Film, der in einem Zugabteil beginnt, unternimmt eine Zeitreise und öffnet sich zugleich der Imagination, indem er seine Arrangements offen hält für die subjektiven Projektionen der Zuschauer. Dabei kreist Gustav Deutschs Nachdenken um das Verhältnis von Realität und Kunst. Wie wirklich ist die mutmaßliche Wirklichkeit angesichts der wandernden Schatten in Platons Höhlengleichnis, dessen "Politeia" zur Lektüre der Protagonisten gehört? Oder: Verliert ein Körper unter dem quasi neutralen Blick des Kameraauges seine individuelle Geschichte? Deutsch pflegt aber nicht nur einen poetischen Kunstdiskurs, der in seinen stärksten Momenten auch existentielle Fragen berührt, sondern er zitiert auch konkret Zeitgeschichte, etwa mit der berühmten Rede "I have a dream" des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King. Politisch positioniert er sich damit bewusst gegenüber dem als konservativ geltenden Edward Hopper und huldig damit zugleich der Freiheit seiner eigenen künstlerischen Interpretation beziehungsweise Schöpfung.