GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

FILM IST. a girl & a gun von Gustav Deutsch

Dirk Schaefer

Wer war es doch gleich, der gesagt hat, Film, das heiße „a girl and a gun“? Einige Quellen schreiben das Zitat Jean-Luc Godard zu; der hat es als Slogan popularisiert, verweist jedoch auf einen anderen Pionier des Erzählkinos als Urheber, nämlich D. W. Griffith. Eine Menge Gs also, zu denen sich nun ein weiteres gesellt. Gustav Deutsch hat im Zuge seines Projektes FILM IST. seit 1998 schon mehrfach gezeigt, wie man mit apodiktischen Definitionen des Filmischen produktiv umgehen kann, indem er vertraute Thesen à la „Film ist Zeit und Bewegung“ mit raffiniert montierten Ausschnitten aus der frühen Filmgeschichte weniger illustriert denn konfrontiert hat. Bei Deutsch befragen Filmtheorie- und Filmfragmente einander, wirft das Beispiel oft ein völlig neues, überraschendes Licht auf die allgemeine Regel, die so einem tendenziell endlosen Prozess von Verschiebung und Reinterpretation unterzogen wird. Indem er als Künstler an der Frage nach dem Wesen des Filmischen festhält, stellt sich Deutsch in die Tradition der klassischen Filmavantgarde; anders als diese aber scheint er zugleich bemüht, die Frage, die seine Arbeit antreibt, offen zu halten.

Seinen neuesten Beitrag zur Reihe beginnt Deutsch denn auch, indem er im Gemeinplatz von girl & gun Interpretationsspielräume aufmacht. Nach der Titelkarte FILM IST. zeigt er uns, quasi als Emblem, eine Frau und ein Gewehr: eine Kunstschützin bei der Arbeit. Somit verbietet sich eine allzu simple Übersetzung von a girl & a gun als sex and crime, mit der Frau als Liebesobjekt und der Waffe als Mittel der Männer, dieses zu erlangen. Vielmehr geht es Deutsch ganz allgemein um die Konfrontation der Geschlechter (deren genaue Anzahl übrigens offen bleibt). Film definiert sich somit nicht mehr, wie in Film ist. 1—1 2, anhand formaler Elemente (Bewegung, Licht, Material ...), sondern anhand eines Themas. Dieser Verschiebung der Fragestellung entsprechend hat Deutsch sich vor der Erforschung der Filmarchive erstmals mit einem Drehbuch bewaffnet, sodass diese Lieferung von FILM IST. sich im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen weniger stark auf die Eigenheiten glücklicher Funde einlässt. Auch hat Deutsch das Prinzip des aus frei kombinierbaren Teilen zusammengesetzten „Tableaufilms“ einstweilen aufgegeben und präsentiert seinen neuen Film stattdessen als abendfüllendes ‚‚Filmdrama in fünf Akten“. Die verwendeten Zitate stammen aus den ersten vier Jahrzehnten des Kinos; der Bereich des Spielfilms, bei Griffith und Godard noch ausschließlicher Bezugspunkt, wurde um Wissenschafts-, Dokumentar- und Erotikfilme erweitert.

Aber was ist das, ein „erotischer“ Film? Ist damit eine eigene Gattung gemeint, mehr oder weniger rigide abgegrenzt von dem, was das Kino sonst noch ins Auge fasst? Für Gustav Deutsch scheint es eine grundsätzliche erotische Komponente im Verhältnis des Films zur Welt zu geben, ein Verhältnis, das man mit dem französischen Avantgardisten Jean Epstein als animistisch, polytheistisch und theogen bezeichnen kann: „Diese sozusagen göttliche Bedeutung, die nicht nur Körperfragmente in der Großaufnahme, sondern auch gefühlsmäßig vollig neutral erscheinende Elemente der Natur annehmen, ist schon häufig bemerkt worden.“[1]

Das erste Kapitel von FILM IST. a girl & a gun wirkt wie eine Rückübertragung von Epsteins Überlegungen ins Medium Film. Unterstützt durch Zitate aus der Theogonie des antiken Dichters Hesiod, in denen etwa die Umarmung der Götter Uranos (Himmel) und Gaia (Erde) als purer Sex erscheint, arbeitet Deutsch die theogene Erotik, den erogenen Animismus des Kinos heraus: Während die Genesis der Welt erzählt wird, ergötzt unser Blick sich am Erblühen von Pflanzen (per Zeitraffer), an Lavawülsten und heißen Schlammblasen (die dank Deutschs Montage an die „breiten Brüste“ der Erdgöttin Gaia erinnern), an nackten Göttern, vertreten von stag-film-Akteuren. Eine Sonnenfinsternis wird zur Begattung von hinten, wobei Sonne und Mond zwei lüsterne Männer sind. Während Deutschs Montage die filmisch reproduzierte Natur erotisiert, gewinnt im Gegenzug die Nacktheit der Schauspieler, dem ursprünglichen Zusammenhang entwendet, etwas Unschuldiges. Die Berufung auf die „Unschuld“ der griechischen Antike ist ja eine beliebte Strategie gegen die Zensur von Bildern nackter Körper gewesen. Das kann man hier nebenbei auch sehen: wie das europäische Kino sich dem Körper und der Erotik auf dem Weg der Antikenfantasie zu nähern versuchte. Daher mutet Deutschs Verwendung antiker Texte von Hesiod, Sappho und Platon nur auf den ersten Blick befremdlich an.

Das dritte, zentrale Kapitel des fünfteiligen Films, „Eros“, untergliedert Zwischentitel mit Versen der lesbischen Dichterin Sappho: zweieinhalb Jahrtausende alte Liebesdichtung, die durch die fragmentarische Gestalt ihrer Überlieferung auf besondere Weise berührt. In den meisten von Deutsch ausgewählten Zitaten klaffen – gut philologisch durch Punkte markiert – große Lücken; die Auslassungspunkte „bezeichnen und beklagen das Verlorene“[2].Teilweise bis zur Unverständlichkeit entstellt, spricht aus diesen Versen eine Leidenschaft, die um so bewegender ist, als sie nur zerrissen, in Fetzen zu uns gelangt.

Was bei Sappho ins Auge fällt – die Lücken, die das Publikum bei der Lektüre füllen muss –‚ das arbeitet Deutsch in seiner Aneignung von Spielfilmmaterial sytematisch heraus, um sich darin einzunisten und sein Spiel damit zu treiben. Wenn Liebe und Sehnsucht in den Spielfilmen so oft einem besonderen, weiblich definierten Lebensbereich zugeordnet sind, dann bietet es sich beispielsweise an, in die vorherrschenden heterosexuellen Verführungsgeschichten lesbische Subtexte einzuschmuggeln. Immer wieder führt Deutsch das Bild der träumenden oder sehnsüchtig zur Seite blickenden Frau an, um – quasi seitlich – narrative Anschlüsse anzufügen, die im Original möglich, aber nicht realisiert waren. Dieses aus dem Bereich des Found-Footage-Films bekannte Montageverfahren erleichtert sich Deutsch durch wechselnde monochromatische Einfärbungen und eine eigens an gefertigte Tonspur – Vereinheitlichungen, die dem Fluss der Montage dienen, den Bildern jedoch so viel Luft lassen, dass wir sozusagen die Klebeste noch bemerken.

Mittendrin hält mit einem Tusch der Tonfilm Einzug. „Der Wind hat mir ein Lied erzählt...“ Elemente gefundener Tonspuren werden eingearbeitet; Frauen singen von der Sehnsucht, mal sentimental, mal schnippisch “Oh Herz, hörst du wie es klingt, [...] singt/ Und rauscht?“[3]

Der Girl-Welt der Sehnsucht stellt Dentsch die von Bewaffneten bevölkerte Welt der Soldaten gegenüber, zeigt Propagandabilder aus dem Ersten Weltkrieg, in denen viel gespielt und Sport getrieben wird; nicht die Schlachten selbst sieht man, sondern das Davor und Danach, die Einsegnung der Waffen, den Gebrauch der Krücken. Die Analogie von Waffe und Prothese durchzieht den gesamten Film, bis hin zu einer feuerrot kolorierten Sequenz, in der Gustav Deutsch Bilder von Sex und Gewalt, Koitus und Kanonenfeuer weniger montiert als stumpf aufeinanderprallen lässt: money shots, in denen die Geschichten und das Geschichtenerzählen enden.

Obwohl „Eros“ und „Thanatos“ hier zwei verschiedene Kapitel gewidmet sind, macht FILM IST. a girl & a gun ihre fundamentale Verstrickung klar, vielleicht am deutlichsten kurz Schluss. Eben noch hieß es in einem Textzitat, das nach Freud klingt, aber aus Platons Symposion stammt: „Wir dürfen mit Recht Eros preisen, daß er uns in die ursprüngliche Natur zurückversetzt und heilt, und dadurch glücklich macht.“   

Und nun dies: Von Bildern frischgeborener Säuglinge schneidet Deutsch auf einen Soldaten, der ein anderes Baby stolz in die Kamera hält – eine Bombe mit der Aufschrift „Love from father“.

[1] „Der Ätna, vom Kinematographen her betrachtet“, in: Jean Epstein, Bonjour Cinéma und andere Schriften, hg. V. Nicole Brenez u. Ralph Eue, Wien : Filmmuseum Synema Publikationen 2008, S. 43 – 54, hier S.52.

[2] Klappentext des Übersetzers, in: Sappho, Strophen und Verse, übersetzt und herausgegeben von Joachim Schickel, Frankfurt am Main: Insel verlag 1978

[3] Klingen, Rauschen und sehnsuchtsvolle Gitarreneinsprengsel haben unter anderem Christian Fennesz, Martin Siewert und Burkhard Stangl bereitgestellt.