GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

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Ein Gespräch mit Stella Rollig

Gustav Deutsch und Hanna Schimek sind ProjektkünstlerInnen avant la lettre. Seit der Gründung der interdisziplinären Gruppe "Der Blaue Kompressor" zu Beginn der achtziger Jahre verknüpfen sie in ihrer Arbeit Forschung und Gestaltung, bildende Kunst und Kulturarbeit. Ihre schweifenden Untersuchungen, nicht zuletzt angetrieben von Neugier auf nicht vorhersehbare Kommunikation, haben sie unter anderem in ein Dorf nach Luxemburg geführt und in eine Oase in der marokkanischen Sahara[1]. Sie haben mit geistig Behinderten einen Garten angelegt[2], die extremen Lebensbedingungen in der Wüste am Beispiel der Wasserversorgung untersucht und eine interaktive CD-ROM gestaltet, durch die man u.a. in der Identität eines Touristen, eines Politikers oder eines Flüchtlings krasse Unterschiede in der Erfahrung des Unterwegsseins nachvollziehen kann[3].
Dies sind nur drei Beispiele aus zwei Jahrzehnten einer künstlerischen Produktionsgemeinschaft, die den beiden Beteiligten trotz ihres Faibles für Kollaboration - sowohl miteinander als auch in immer neuen Zusammensetzungen - Raum für eigene Arbeit lässt. Gustav Deutsch feiert mit seinen experimentellen Filmen große Erfolge, zuletzt mit den virtuosen Found-Footage-Kompositionen "Film. Ist. 1 - 6" (1998) und "Film. Ist. 7-12" (2002), während Hanna Schimek sich der konzeptuellen Fotografie gewidmet hat[4].
Das letzte Jahr stand im Zeichen eines intensiven Forschungsprozesses. Für das interdisziplinäre Projekt "Light | Image | Reality" luden Deutsch und Schimek KünstlerInnen, WissenschafterInnen, Kunst- und Bildungsinstitutionen aus vier europäischen Ländern ein, sich langfristig auf das Thema von Abbild und Realität mit künstlerischen Mitteln, mit Werkzeugen aus der Theorie und mit pädagogischen Ansätzen einzulassen. Mitte Mai 2003 wurde zur Aegina Academy geladen. Eine Woche lang trafen sich TeilnehmerInnen und Gäste auf der griechischen Insel bei Athen, um Ausstellungen zu sehen, Filmvorführungen unter Sternen zu genießen und in einem Symposium (und selbstverständlich auch außerhalb dessen) zu diskutieren.[5] Unser Gespräch führten wir zur Halbzeit des "Forums für Kunst und Wissenschaft", wie die beiden InitiatorInnen die Veranstaltungswoche genannt haben.

SR: Seid ihr traurig, dass euer großes Projekt "Light | Image | Reality" sich dem Abschluss nähert?

HS: Wir sehen die Aegina Academy nicht als Endpunkt, sondern als Höhepunkt. Das Projekt läuft ein ganzes Jahr, und in dieser Veranstaltungswoche wird es dem Publikum geöffnet. Bis jetzt haben wir daran intern gearbeitet, und nun werden alle Teilnehmer und die entstandenen Arbeiten hier präsentiert. An fast allen Einzelprojekten wird allerdings nachher weiter gearbeitet, selbstverständlich auch an der Website, in die alles, was hier passiert, einfließen wird.

SR: Wie habt ihr das Thema entwickelt?

GD: Obwohl Hanna und ich unterschiedliche Ausbildungen haben, sind wir beide mit der Untersuchung von Medien befasst. Hanna mehr mit Fotografie und ich mit Film. Unser beider Interesse gilt auch immer dem Medium selbst. Das Selbstreflexive ist ein wesentliches Element, das Medium wird diskutiert, im Sinn seiner Hinterfragung, nicht nur seiner Benützung.
"Light | Image | Reality" knüpft an ein Projekt an, das wir 1995 in Griechenland gemacht haben: "Odyssey Today" zum Thema Migration, Flüchtlingsbewegungen und Tourismus.
Mit "Light | Image | Reality" wollen wir die vielfältigen Erscheinungsformen und Wirkungsweisen optischer und optisch-akustischer Medien hinterfragen. Das Thema des Bildes aus Licht ist uns auch im Sinn seiner gesellschaftspolitischen Brisanz wichtig erschienen. Wenn man aktuelle Ereignisse verfolgt, wie die Berichterstattung von Kriegen oder vom 11.September 2001, dann stellt man fest, wie das Medium zur Waffe wird. In Bezug auf 9/11: Da sind nicht nur die Passagierflugzeuge zur Waffe umfunktioniert worden, sondern auch die Berichterstattung darüber. Die Nachrichten werden ein wichtigeres operatives Kampfinstrument als die Waffen selbst.
Die Waffenentwicklung hat in der Kulturgeschichte des bewegten Bildes eine ganz wesentliche Rolle gespielt. Die erste Filmkamera war das "Fusil Photographique" oder "Photographic Gun" von Etienne Jules Marey. Das war ein Gerät, das ausgesehen hat wie ein Gewehr, das funktioniert hat wie ein Gewehr. Und der Trommelrevolver ist ein Vorinstrument für die Kinematografie.

SR: In welcher Hinsicht?

GD: Weil der Transportmechanismus der gleiche ist. Einmal wird er dazu verwendet, Patronen mit hoher Geschwindigkeit an eine Öffnung zu transportieren, im anderen Fall Filmkader. Für das Maschinengewehr trifft die Analogie noch mehr zu. Die Kinematografie wurde im Sinn der Waffenentwicklung sofort instrumentalisiert, und wesentliche ihrer Erfindungen sind im militärischen Zusammenhang entstanden.

SR: Meinst du, dass diese technische Parallelentwicklung und die Nutzung von Entwicklungssynergien mehr Bedeutung haben als eine symbolische?

GD: Die symbolische hat reale Auswirkungen. Wie den Waffen sind Menschen den Medien weitgehend schutzlos ausgeliefert. Weil wir - und ich schließe mich da nicht aus - nicht wissen, wie Abbildungen funktionieren. Wir wissen nicht, wie sie interpretiert werden und welche Wirkung sie auf Menschen ausüben. Es wird immer schlimmer, weil die Medien rasant zunehmen. Kaum ist eines entwickelt, folgt das nächste, und dabei haben wir noch nicht einmal richtig begriffen, wie Film funktioniert.
Wir wollten ein Projekt entwickeln, das sich mit den Anfängen, mit der Entstehungsgeschichte der Bildmedien genauso befasst wie mit dem zeitgenössischen Status und mit der Zukunft. Das heisst, einen Bogen zu spannen und dazu gezielt Leute einzuladen, die sich mit ihrem institutionellen Background oder, im Fall von KünstlerInnen, in ihrem eigenen Schaffen mit der Geschichte und der Weiterentwicklung von Medien beschäftigen.

SR: Hier auf Aegina werden eine Reihe von künstlerischen Arbeiten präsentiert. Mir fällt auf, dass dabei die von dir als aktuell brisant bezeichneten Medienbilder fehlen. Man sieht keine terroristischen Anschläge, keine Bilder aus dem Irak. Es geht eher um die Anfänge des Mediums Lichtbild - etwa in der Serie mit Archivmaterial aus dem Amsterdamer Filmmuseum - und um grundlegende Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Wahrnehmungstheorie - unter anderem mit einer Reihe optischer Apparate, sei es die Sammlung historischer medizinischer Geräte zur Augendiagnose in der Installation von Kyrillos Sarris oder die beiden Camera Obscura-Bauten. Und dann die fast träumerische Qualität der Licht-Installation von George Hadjimichalis auf dem Schiff bei der gemeinsamen Überfahrt von Athen auf die Insel, seine Kartographie der Leuchttürme der Ägäis...War es euer Ansatz, in der Aegina Academy auf Grundlagen zu fokussieren und sich dabei nicht von explizit und sofort einordbar Politischem ablenken zu lassen?

HS: Du selbst hast einmal über unsere Arbeit gesagt, dass immer eine poetische Komponente dabei ist. Unser Ansatz ist nicht, auf die aktuellsten politischen Gegebenheiten zu reagieren. Für mich ist wichtig, an der untersten Schicht anzusetzen, um etwas zu verstehen. Ich habe zum Beispiel, seit ich in Aegina bin, keine Zeitung gelesen.

SR: Seit vier Monaten?!

HS: Ja. Ich interessiere mich kaum für Tagespolitik. Ich muss nicht wissen, was dieser oder jener Politiker gerade heute macht. Mich interessieren die wesentlichen Zusammenhänge, Dinge die sich im Lauf der Zeit also nicht so sehr ändern.

SR: Diese Haltung sehe ich besonders in einer eurer Arbeiten widergespiegelt, nämlich dem "Atlas", einer Sammlung von Computer-geprinteten Fotos, auf zehn Leuchttischen angeordnet. Es ist ein Mix an Bildvorlagen: Kunstwerke, wissenschaftliche Darstellungen und eigene Fotos aus unterschiedlichsten Räumen und Situationen - alle vereinheitlicht als digitale Prints im selben Format, zu thematischen Gruppen geordnet.
Der Titel und die Verfahrensweise der Bilderakkumulation erinnern an zwei berühmte Werke: Gerhard Richters gleichnamige Arbeit und Aby Warburgs "Mnemosyne-Atlas". Zum Thema des Nicht-Veränderlichen: Warburgs Arbeit ist eine Jahrhunderte umfassende Untersuchung gleichbleibender "Pathosformeln", entspringt also einem verwandten Interesse. In welchem Verhältnis zu diesen beiden seht ihr euren "Atlas"?

GD: Bei Richter, so wie ich das verstehe, geht es um die Serie, um die Power der Vervielfachung und der Reihe. Uns geht es um die Kombination, um die Aussage, die durch die Zusammenstellung zweier Bilder entsteht. Um Bewegungsfolgen, die sich durch mehrere Bilder ziehen. Das verbindet uns sicher mehr mit Warburg als mit Richter.

HS: An Warburgs "Atlas" hat mich interessiert, dass er eine wissenschaftliche Untersuchung ist, die ausschließlich mit Bildmaterial funktioniert. Weniger interessiert mich die Theorie der Pathosformeln... umso mehr, dass der Atlas gleichzeitig entstanden ist mit Collagen von Picasso oder Braque. Der "Mnemosyne-Atlas" hat für mich aber auch so einen Mief, alles schaut ein bisschen nach altdeutschen Möbeln aus. Wenn ich mir daneben Dada-Collagen ansehe, dann weisen die für mich in die Zukunft, was der Warburg-Atlas nicht tut. Auf der anderen Seite finde ich den Ansatz sehr faszinierend, etwas Grundlegendes erfassen und vermitteln zu wollen nur mit visuellen Mitteln.

GD: Was sicher anregend ist und ein paralleler Gedanke zu unseren Untersuchungen: dass es im Lauf der Menschheits- und Kulturgeschichte Ähnlichkeiten gibt, dass Parallelitäten entstehen. Das wollte Warburg auch mit seinen Pathosformeln zeigen, dass unabhängig vom politischen und kulturellen Hintergrund etwas immer gleich bleibt.

HS: Wir sind nach der gleichen Methode vorgegangen wie bei der Recherche zu Gustavs letztem Film, die sich als gut machbar und erfolgreich erwiesen hat. Wir haben vorab begriffliche Kategorien aufgestellt, nach denen wir dann Bilder gesucht haben.

GD: Zum Beispiel "Spiegelung" oder "Projektion" oder "Reflexion", und mit diesen Begriffen im Kopf geht man herum und sieht Dinge. Es ergibt sich eine selektive Wahrnehmung.

HS: Für mich ist wichtig, dass in der Präsentation auf den Tischen Sinn und Sinnlichkeit zusammen gehen. Das funktioniert für mich. Am liebsten würde ich noch zehn solcher Tische machen. Kunstgeschichtlich haben wir bei der Renaissance begonnen...

GD: ... das stimmt nicht ganz, es sind auch Höhlenmalereien aus Lascaux dabei...

HS: Richtig. Aber eigentlich war für mich der Ausgangspunkt die Renaissance. Dann sind wir auf Vermeer gekommen, von ihm zu den anderen Holländern... Ich will sagen, dass wir von einem Thema zum anderen gelangt sind, mit unterschiedlicher Verweildauer.

SR: Das Verbindende unter allen Bildern - etwa 1500 in der Bildbank auf der CD-ROM bzw. im Netz, 600-700 auf den Leuchttischen - sie zeigen jeweils einen Moment, in dem man sich des Lichts, seiner Anwesenheit und Funktionsweise bewusst wird: durch Lichtquellen, durch Spiegelungen, Schatten...

GD: Was im "Atlas" repräsentiert wird, ist Licht nicht in seiner metaphorischen oder symbolhaften Bedeutung, sondern in seiner buchstäblichen. Woraus ist Licht, wie wirkt es, wenn es reflektiert wird, was erzeugt es für Abbilder - naturwissenschaftlich gedacht. Schatten zum Beispiel könnte man auch metaphorisch sehen, als das Bedrohliche, das "Böse". Darum geht es in diesem Jahr nicht.
Geplant ist, das ganze Projekt als Biennale zu präsentieren. Das nächste Thema ist "Licht | Bild | Metaphysik", danach soll es ein eigenes Projekt zur Verbindung mit der Kriegstechnologie geben: "Licht | Bild | Eroberung".

HS: Für das nächste Thema könnte aus dem selben Material eine andere Präsentation des "Atlas" entstehen. Ich sehe die Zusammenstellung im Sinn des Filmschnitts, wo durch die Konstellation zweier Bilder eine Gedankenverbindung entsteht.

GD: Die Bedeutung entsteht im Kopf.

SR: Die Arbeit hat einen mehrdeutigen Status. Einerseits wird sie hier als autonomes Werk präsentiert, andererseits ist sie ein Reservoir, aus dem ihr wieder neue Arbeiten schafft, und sie ermöglicht Transparenz eurer Arbeitsmethode, ein Offenlegen eures Forschungsprozesses.
Die zweite Arbeit, auf die ich eingehen möchte, hat einen ganz anderen Charakter. Es ist die "Camera Obscura", die du, Gustav, gemeinsam mit dem Architekten Franz Berzl auf einer Landzunge nahe des Dorfes Perdika errichtet hast. Das ist ein manifester Bau, errichtet für einen Sommer, der danach wieder verschwinden wird.

GD: Wir zeigen sogar zwei Camera Obscura-Bauten. Im Hafen gibt es auch die auf dem selben Prinzip beruhende Arbeit "Light Memory" von Edgar Lissel.
Mich interessiert daran folgendes: Medien sind ja keine Erfindung der Menschen. Weder das bewegte Bild noch das fotografische Abbild ist vom Menschen erfunden. Das ist etwas, das es in der Geschichte der Erde und wahrscheinlich des Universums immer schon gibt: optische Phänomene. In diesem Sinn war das erste Kino eine Höhle, nachdem die Erdkruste erstarrt ist, in die durch ein kleines Loch alles, was draußen passiert ist, hinein reflektiert wurde und sich auf der Wand gezeigt hat. Die abgebildeten Feuer oder Lavaströme waren der erste Film. Daher war klar, dass man zu unserem Thema eine Camera Obscura errichtet, das einfachste Instrument zur bewegten Abbildung der Realität. Die Faszination daran hat eine lange Geschichte. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts gab es an den Küsten in England und in Amerika solche Gebäude zur Unterhaltung. Für die Lichtstärke waren sie meist mit Linsen ausgestattet. Aber die einfachste Camera Obscura ist eine schwarze Kammer mit einem Loch in der Wand.
Für unser Gebäude wollten wir einen Ort finden, an dem man ein Panorama abbilden kann. Das gibt es meines Wissens bisher nicht. Dann haben wir diese Stelle gefunden. Es ist Militärgebiet, es war eine im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen okkupierte Landzunge, die dann die griechische Navy übernommen hat und wo es immer noch Fundamente deutscher Flakstellungen gibt. Eine davon ist jetzt das Fundament für unsere Camera Obscura.

SR: Kommen wir zur Struktur des Gesamtprojekts. Warum Griechenland?

HS: Wie anfangs erwähnt, knüpft es an die Athen-Konferenz an, die wir 1995 zum Thema "Odyssey Today" veranstaltet haben. Die damaligen Kontakte sind uns sehr wichtig geworden und geblieben, mit Künstlern wie George Hadjimichalis oder Kyrillos Sarris, die uns wiederum mit Nikos Navridis zusammen gebracht haben, und auch der Kontakt zu Wissenschaftlern wie dem Philosophen Gerassimos Kouzelis, der das Symposium der Aegina Academy konzipiert hat.

SR: Griechenland ist ja nicht unbedingt ein Orientierungspunkt auf der Landkarte zeitgenössischer Kunst. In Sachen aktueller Kunst nach Griechenland zu gehen mutet heute exotischer an, als ein Projekt in Senegal durchzuführen.

HS: Genau. Wann immer wir gesagt haben, wir machen unser nächstes Projekt in Griechenland, hat es geheissen: Super, ihr macht Urlaub. Gut, das kann man als Witz nehmen. Aber es hat einen tieferen Hintergrund.
Ich finde es wirklich eine Schande, wie wenig wir uns mit diesem Land beschäftigen, das durch die lange türkische Besatzung und später die Militärdiktatur einen so anderen kulturellen Status hat als wir. Dabei ist es ein Land, das nicht nur Sonne hat und Meer und weiße Häuser und blaue Fensterrahmen, sondern viel mehr Hintergrund, und das nicht modisch ist, vor allem nicht in Bezug auf Kunst.

GD: Und ein Land, das die Wiege der europäischen Philosophie und Kunst gewesen ist!
Prinzipiell kann man sagen, dass wir uns gerne an Orten aufhalten, die Un-Orte im Sinn der zeitgenössischen Kunst sind. Wir haben in Luxemburg ein Projekt in einem sehr kleinen Ort realisiert, in Wiltz. Das war eines der umfangreichsten Projekte, die wir im Rahmen unserer Gruppe "Der Blaue Kompressor" gemacht haben. Zu der Zeit, 1983 bis 1987, als wir dort mit geistig schwerst Behinderten gearbeitet haben, war die Zusammenarbeit mit Behinderten, mit Minoritäten in der Kunst kein Thema, und auch die Gruppenarbeit nicht, weil damals das Einzelkünstlertum abgefeiert wurde. So sind wir auf der Landkarte der zeitgenössischen Kunst nicht immer sehr präsent, weil wir uns daneben bewegen. Aber genau das macht es spannend. Unser Interesse besteht an einer gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst - nicht im Sinn von Trends, sondern von Effektivität. Ich denke, dass alles, was Trend ist, auch sehr schnell wieder verschwindet. Mir tut nichts mehr weh, als wenn die Arbeit mit Behinderten im Kunstbetrieb zwei Jahre lang interessant ist und dann nicht mehr. Das Projekt in Luxemburg ist in Hinblick auf Zusammenarbeit mit Behinderten ein Paradeprojekt geworden. Es wird heute immer noch fortgeführt.
Auch hier in Aegina haben wir einen verwandten Ansatz. Wir wollten nicht in eine Hochburg der medialen Auseinandersetzung gehen, wir wollten das Projekt nicht in Karlsruhe mit dem ZKM machen, sondern lieber in Aegina mit lokalen Schullehrern.

SR: Das klingt sehr idealistisch.

GD: Vielleicht. Aber ich denke, wenn man sich mit grundlegenden Fragen auseinandersetzt, was ist Realität und was ist ein Abbild, dann kann man vielleicht mehr erreichen, wenn man an so einen abgelegenen Ort geht, weil die Lehrer und die Schüler viel empfänglicher sind, weil hier sonst nicht viel dergleichen passiert. Man hat einen viel höheren Grad an Wirkungskraft als in einer kulturellen Hochburg.

HS: Unsere Ansicht über Präsenz und Nicht-Präsenz im Kunstbetrieb hat sich im Lauf der Zeit geändert. In Luxemburg haben wir soviel am Gesellschaftlichen gearbeitet, dass die Arbeit an unserer Präsenz im Kunstzusammenhang gefehlt hat. Dafür hat die Kapazität nicht gereicht. Wir haben wahnsinnig viel gearbeitet, aber das Projekt ist von der Kunstwelt kaum wahrgenommen worden. Und das hat sich im Lauf der Zeit geändert. Heute ist es uns auch wichtig, dass man uns im Kontext anderer Arbeiten sieht, was uns beim "Blauen Kompressor" in den Anfängen egal war. Das war auch ein Zeichen der Zeit, dass man sich gegen die Gesellschaft gestellt hat ­- oder nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen die tonangebende Kultur-Gesellschaft. Heute ist es mir wichtig, unsere Projekt in Zusammenhang mit anderer künstlerischer und kultureller Produktion zu sehen.

SR: Trotzdem würde ich sagen, dass ihr in der Kunstszene eine besondere Position einnehmt. Auf die Gefahr hin, dass es idealisierend ist, würde ich euch als außergewöhnlich unabhängig arbeitend bezeichnen. Wenn man bedenkt, wie aktuelle KünstlerInnen-Karrieren verlaufen, wie die von euch so genannte Präsenz garantiert wird, dann ist das durch die Zusammenarbeit mit namhaften KuratorInnen, wichtigen Galerien, die Teilnahme an viel beachteten Ausstellungen. In diesem Betrieb sind eure Namen nicht die geläufigsten, und trotzdem könnt ihr kontinuierlich große Projekte realisieren, für die ihr die Infrastruktur selbst schafft. Zum Beispiel "Light | Image | Reality". Das Projekt ist wesentlich von der EU und der griechischen Stavros S. Niarchos Stiftung finanziert, und ihr habt dafür ein europaweites Netz aus Co-Organisatoren und Partnern geknüpft.

HS: Unsere, wie du sagst, Unabhängigkeit, kommt aus unserer Geschichte. Wenn ich an das Wiltzer Projekt denke: Man hat immer an der Basis angefangen. Vom Fotokopieren bis zum Pressekontakt hat man alles selbst gemacht und sich auf niemand anderen verlassen.

GD: Und wir haben von Anfang an die konventionellen Strukturen abgelehnt. Sich unter den Namen einer berühmten Kuratorin oder unter das Etikett einer berühmten Galerie zu begeben, das ist ein Gedanke, der mir furchtbar ist. In der Hinsicht bin ich lieber unabhängig. Natürlich ist es eine große Anstrengung, für ein Projekt wie "Light | Image | Reality -The Aegina Academy" Geld aufzustellen, alles zu organisieren und zusätzlich die eigene künstlerische Arbeit zu entwickeln.

HS: Obwohl sich das schon ändert. Heute geben wir bewusst Tätigkeiten ab...

GD: ... aber an Leute, die wir uns aussuchen!

SR: Eure Praxis ist also zuletzt doch arbeitsteiliger geworden.

HS: Ja, sicher. Früher ist die künstlerische Arbeit innerhalb eines Projekts manchmal zu kurz gekommen, weil alles andere wichtiger war und mehr gedrängt hat. Das hat sich zum Glück geändert. Bei diesem jetzigen Projekt wurde die organisatorische und finanzielle Seite von After Image Productions, einem Verein für Kulturmanagement, übernommen.

GD: Was uns bei unseren Projekten immer wichtig war: dass es auch menschlich stimmt. Und gerade in Griechenland... das ist vielleicht auch ein Grund, warum wir wieder hierher gekommen sind, dass es in Griechenland auch menschlich-kommunikativ sehr gut funktioniert. Dass wir hier Freunde gefunden haben.

SR: Obwohl ihr immer noch nicht griechisch sprecht.

HS: Das schreib' aber nicht!

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[1] Siehe dazu Kunstforum International Bd.137, "Atlas der Künstlerreisen", S.98 - 103.
[2] "Jardin de Wiltz", Der Blaue Kompressor, 1983 - 1987. Das Garten-Projekt existiert noch immer und wird heute von der sozial-kulturellen Initiative "Cooperations" betreut.
[3] "Odyssey Today", CD-ROM von D+S, 2000.
[4] Hanna Schimek: "Aufsicht". Köln: Salon Verlag 1999. Das Buch versammelt Fotoporträts von AufseherInnen in zahlreichen internationalen Museen.
[5] Siehe die Website zum Projekt: www.light-image.net