GUSTAV DEUTSCH

Bibliografie thematisch

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GUSTAV DEUTSCH

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Gustav Deutschs Welt Spiegel Kino # 2

Nico de Klerk - Nederlands Filmmuseum, Amsterdam

Die zweite Episode von Welt Spiegel Kino wurde von einem Film mit dem Titel Soerabaia - Het Straatverkeer op Pasar Besar 15 July 1929, inspiriert. Neben einer distanzierten Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens in dieser Stadt zeigt er auch einige ihrer Lichtspielstätten. Die Kamera fährt zwei Kinos entlang; in einem wird der Montagu-Love-Streifen The Last Warning gezeigt, und ein paar Häuser weiter sieht man Ankündigungen für die Filme The Unholy Three mit Lon Chaney und Siegfrieds Tod von Fritz Lang.

Gewisse Bilder werden in der Charakterisierung eines historischen Abschnitts als besonders bedeutsam wahrgenommen und möglicherweise auch in diesem Sinn verwendet. Meiner Meinung nach ist der Ausschnitt aus Siegfrieds Tod in dieser Episode als ein solches Bild zu verstehen. Aber Momente wie dieser werden in Welt Spiegel Kino behutsam gehandhabt, sodass sie nie zum Gemeinplatz verkommen. Vielmehr sollen die Episoden ein Gefühl von Gegenwart vermitteln. Die ausgewählte Szene aus Siegfrieds Tod, in der Siegfried den Drachen tötet, ist im Zusammenhang mit Indonesien vor der Unabhängigkeit von Bedeutung. Es wäre natürlich leicht, den Drachen als Symbol für den Kolonialismus und Siegfried als Vertreter des indonesischen Nationalismus zu deuten. Aber für ZuschauerInnen mit nichteuropäischem Hintergrund, die den Film damals in Surabaya gesehen hätten, wäre aus dieser Interpretation jegliche lokale Färbung gelöscht, allein durch die kulturelle Distanz, die der sehr kaukasische Held herstellt. Vermutlich deshalb zwingt die Montage das Kinopublikum zu dem Umweg, diese Bilder erst im lokalen Kontext zu verankern, wodurch eine solche Interpretation plausibler wird. Darum unterbricht den Ausschnitt, kurz bevor Siegfried dem Drachen den Todesstoß versetzt, ein Nachrichtenfilm aus Niederländisch Ostindien, in dem ein Festzug mit einem chinesischen Drachen zu sehen ist. So wird der Drache in Siegfrieds Tod zu einer Assoziation, wie sie in die lokale, nichteuropäische Rezeption dieses deutschen Films passt. Erst jetzt kann diese Szene sinnvoll mit dem Ideal der Unabhängigkeit in Verbindung gebracht werden. Diese Art der Montage hat Deutsch übrigens auch in seinem Film ist. verwendet. Ich würde sie als kognitive Montage bezeichnen, da sie Denkprozesse nachvollzieht, z. B. wenn auf eine Aufnahme als nächstes eine Einstellung folgt, die eine Erinnerung, Vorstellung oder ein anderes gedankliches Bild repräsentiert, anstatt mit der nächsten Aufnahme in üblicherer Erzählweise die chronologische Ordnung oder räumliche Kontinuität zu wahren.
Die Bedeutung dieser Sequenz liegt also in der Verknüpfung und Gegenüberstellung der zwei Ausschnitte mit typisch westlicher und typisch östlicher Bildersprache. Nur in diesem Moment wird das Typische absichtlich eingesetzt. Denn die meisten Bilder in dieser Episode sind weit entfernt von kolonialen Stereotypen. Als teilnahmslose Beobachtung des Straßenverkehrs ist Soerabaia - Het Straatverkeer...., einer der "unkolonialsten" Filme aus Niederländisch Ostindien. Die anderen Ausschnitte sind allerdings Filmen mit offen kolonialistischen Absichten entnommen. Was also hat ihre Aussage unwirksam gemacht?

Die Verwendung der Drachensequenz leitete das Kinopublikum zu einer allegorischen Interpretation an, in der die Bedeutung wichtiger ist als das Bild. Aber das andere Archivmaterial ist missverständlicher, weil die bildlichen Eigenschaften im Vordergrund stehen. Als Zuschauer können wir unser Wissen über diese historische Epoche zwar nicht wegdenken, aber der Film bewahrt auch diese Szenen vor unseren vorgefassten Meinungen. In den Ausschnitten werden bewusst keine Zwischentitel verwendet, und sie sind in Länge und Einstellungen begrenzt. Außerdem zeigen sie hauptsächlich Menschen in der Ausübung einer Tätigkeit. Das alles lässt die für diese Episode ausgewählten Szenen mit ihrem eigenen Charakter zur Geltung kommen und befreit sie aus ihrem altbekannten Schema. Die Ausschnitte präsentieren, anstatt zu repräsentieren: Sie zeigen Menschen, wie sie sind, und nicht als das, wofür sie stehen. Die Wirkung des anderen Dokumentarmaterials, das für diese Episode verwendet wird, beruht also großteils auf der Transkulturalität der filmischen Bilder. Sie konzentrieren sich auf leicht Erkennbares, wie zum Beispiel die Gestalt eines Menschen, den körpersprachlichen Ausdruck, die Gestik usw., und stellen so eine unmittelbare psychologische Verbindung zwischen ZuschauerIn und Subjekt im Film her, unabhängig davon, wo und wann das Subjekt gefilmt wurde. Dass in den meisten aufgezeichneten Tätigkeiten auf die Kamera Bezug genommen wird, bringt sie uns noch näher. Das Transkulturelle setzt Kontakt voraus; das Posieren vor der Kamera ist ein Zeichen von Transkulturalität.

Deshalb ist Welt Spiegel Kino ein "unwissender" Film: Er verweigert die schicksalhafte Überfrachtung seiner Bilder. Er erweckt den Anschein, dass in den dargestellten Alltagsmomenten die großen Ereignisse, die die Geschichtsbücher füllen, nur am Rande registriert werden. An einem beliebigen Tag im Leben eines Menschen wird ihre Bedeutung leicht übersehen und geleugnet und bleibt somit folgenlos. Es ist eine Herausforderung für die Zuschauer, das Gesehene als bloße Situation ohne größeren sozialen oder historischen Rahmen zu begreifen. Koloniales Kino ist nicht immer kolonial. Ebensowenig ist eine koloniale Gesellschaft immer kolonial. Und indem es den Zuschauern somit ermöglicht wird, auf ihre eigene Art eine Beziehung zu den Menschen herzustellen, die sie im Film sehen, erkennen sie vielleicht, dass diese Augenblicke ungenutzte Möglichkeiten enthalten.

Übersetzung: Daniela Beuren (phoenix)