Film ist. Stimme und Gesang
FILM IST.Stimme und Gesang
4 Kanal DVD Installation im Rahmen von Phonorama, eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium
ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 19.9.2004 - 30.1.2005
VOX ACUTA. Zwei Frauen blicken einander an, über Raum und Zeit hinweg. Sie setzen ihre Stimmen ein, um etwas zu kommunizieren. Es geht um große Gefühle und große Lügen. Und es steht einiges auf dem Spiel. Wer seine Stimme erhebt, übernimmt Verantwortung. Die beiden Frauen, die da singen und sprechen, sind Projektionen, Wiedergängerinnen, Phantome des Kinos: Ihre Gesichter sind berühmt. Die Geschichte hat beiden Ehrenplätze eingeräumt, aber auch über sie verfügt: Zarah Leander heißt die eine, Marlene Dietrich die andere.
Anfang der dreißiger Jahre geht es in Deutschland mit der Technik aufwärts und mit der Politik abwärts. Zwischen 1931 und 1937 sind die vier Tonfilmfundstücke entstanden, die Gustav Deutsch in seiner Installation Film ist. Stimme und Gesang auf vier große Leinwände setzt, die vier Wände eines Raumes bilden. Während jeweils einer der vier Bild / Ton-Kanäle sein klingendes Programm abspult, fallen die anderen drei in Zeitlupe und Schweigen zurück, bleiben im stillen Vor- und Rücklauf gespenstisch hängen.
Auf einer der Leinwände spricht NS-Propagandaminister Joseph Goebbels zum Volk, in einem Dokument aus dem Frühjahr 1933. Ihm gegenüber: ein deutscher Röntgentonfilm von 1937, in dem durchleuchtete sprechende Köpfe ihr prosaisches Inneres, bewegliche Knochen, Knorpel und Röhren, preisgeben. Sprechapparate: Goebbels stellt "soziale Erlösung" in Aussicht und "eine Revolution von unabsehbaren Ausmaßen"; der gläserne Mann vis-à-vis ist weniger konkret; er sagt bloß Vokale, Wochentage und Monate auf, monoton, seltsam träumerisch, wie hypnotisiert. In dem blechenen Klang seiner Stimme schwingt assoziativ der Klang der Kriegswochenschauen und der Spielfilme des Dritten Reichs mit.
Die Installation ist als Teil des Projekts Film ist. zu verstehen, das mittlerweile aus 150 Minuten Film und zwei Arbeiten für den Museumsraum besteht: In seinem vielteiligen work-in-progress untersucht Gustav Deutsch anhand gefundener Filmmaterialien die Spiel- und Wesensarten des Kinos, das Entscheidende des Mediums.
Die Stimme als Sujet stellt allerdings eine spezielle Herausforderung dar. Der Künstler gerät, wenn er mit Filmbildern argumentiert, in der Erforschung akustischer Phänomene an ein Grundsatzproblem: Die Bilder sind immer stärker als ihr Klang. So sind auch die Stimmen im Kino nur ein Nebenaspekt der Körper, Gesten und Gesichter. Sie erfüllen dennoch eine unentbehrliche Funktion: Sie authentifizieren die Existenz der projezierten, scheinbar imaginären Figuren, sie holen das Irreale auf den Boden des Wiedererkennbaren zurück.
Die Stimmen und die Bilder liefern einander, an der Grenze zwischen Schauspiel und Sein, bizarre Gefechte. Das Hörbare ist mit dem Sichtbaren nicht identisch. Goebbel´s Selbstinszenierung kann die kleinen Entgleisungen, die ihm das Unbewusste seiner Sprache auferlegt, ebenso wenig brauchen wie Zarah Leanders Natur-Mutterglück die synthetisch synchronisierte Singstimme. Wie ein Kommentar zur deutschen Anpassungsgeschichte klingt zudem der Text des Liedes, das Leander in Detlef Siercks Melodram La Habanera zum Besten gibt: "Das kannst du ja nicht wissen", singt sie milde, alles allen immer schon verzeihend. Und die Dietrich-Bilder, Probeaufnahmen vom Berliner Casting zu Josef von Sternbers Femme-fatale-Fantasie Der Blaue Engel (1931), zeigen eine junge Frau, die sich um einen Job beim Film bewirbt (das ist real) und dabei auftragsmäßig etwas zu spielen, zu inszenieren hat (fiktiv), das sie kurz davor tatsächlich erlebt hat (real) - die Auseinandersetzung mit einem Pianisten, der ihren Gesang nicht adäquat begleitet. Das alberne Lied, das sie dabei intoniert "You´re the cream in my coffee", verträgt sich schlecht mit der miesen Laune, die sie deshalb zeigen muß.
Am Ende triumphiert der Ton über das Bild, die Stimme über das Gesicht: Ein populäres Lied, das der Startenor Joseph Schmidt, aus Deutschland vertrieben und als Jude zum Flüchtlich quer durch Europa gemacht, einst hesungen hat, erobert sich den Raum - ein alter Schlager, in dessen Titel eine self-fulfilling prophecy liegt: "Ein Lied geht um die Welt." Gerade achtunddreißigjährig ist Joseph Schmidt 1942 verstorben: ein Opfer der Brandreden der Nazis. In der Politik werden Stimmen laut, um andere verstummen zu lassen. Die Kunst weiß diesen Prozess symbolisch umzudrehen.
(Stefan Grissemann)
Konzeption und Realisation
Gustav Deutsch
Produktion
loop media, Manfred Neuwirth
Kooperation
Nederlands Filmmuseum
Filmarchiv Austria
Österreichisches Filmmuseum
Support
Medienwerkstatt Wien
Ausschnitte aus folgenden Filmen:
Castingaufnahme Marlene Dietrich, für Der Blaue Engel
Josef von Sternberg, Berlin, 1931
Ausschnitt aus La Habanera: Lied gesungen von Zarah Leander, Das kannst du ja nicht wissen.
Detlef Sierck, Deutschland 1937
Ausschnitt aus Röntgen-Strahlen
Martin Rikli, R.Janker, Deutschland, 1937
Ausschnitt aus Deutschland erwacht, Joseph Goebbels spricht über die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland, Berlin, Frühjahr 1933.
Tonzuspielung:
Ein Lied geht um die Welt - Lied aus dem Soundtrack zum gleichnamigen Film
Joseph Schmidt, mit Begleitorchester, Ltg. Otto Dobrindt (H.May / E.Neubach),